Thema Monatsgruß 04/2021
Leben aus der Fülle
„Leben aus der Fülle“ – so würden wahrscheinlich Menschen in vielen anderen Teilen unserer Erde bezeichnen, was unseren Lebensstil in der westlichen Welt bestimmt. Und meistens beneiden sie uns darum. Allein diese Beobachtung zeigt, dass Fülle, zumal in unserer heutigen Zeit, mehrere Seiten hat: Sie schenkt Sicherheit und Bequemlichkeit, sie eröffnet Wahlmöglichkeiten und Abwechslung, sie wird begehrt, aber sie überfordert mitunter auch durch die Vielfalt ihrer Optionen und ruft in die Verantwortung gegenüber denen, die statt Fülle oft Mangel erleben. Auch in der Bibel ist oft von Fülle die Rede. Sie wird ganz positiv als eine gute Gabe Gottes verstanden. In der Fülle an Erntegaben, Wasser, Tieren und fruchtbarem Land drückt sich aus, dass Gott die Menschen zuverlässig und großzügig versorgt. Er erhält das Leben, das er geschaffen hat.
Aus Jesaja 55, 1-3 1 Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! 2 Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. 3 Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben.
Fülle steht gewissermaßen für Wohlstand. In früheren Zeiten war das Füllhorn ein Symbol für solch beglückende Lebensverhältnisse. Verbunden ist diese Zusage Gottes mit Anweisungen, wie dieses Geschenk allen Menschen zu Gute kommen soll. Fülle ist ein Ausdruck der Zuwendung Gottes zu uns Menschen. So, wie die Bibel um Gottes Gegenwart und Hilfe in Krisenzeiten weiß, so hält sie gleichzeitig daran fest, dass Gottes Ziel mit uns darin besteht, dass wir seine Fülle erleben dürfen. Das wird uns auch persönlich zugesagt, etwa durch den Zuspruch eines Segens. So dürfen und sollen wir uns an der Fülle, die wir auch jetzt schon erleben, aus vollem Herzen erfreuen.
Zugleich will sie uns daran erinnern, dass hinter dieser Fülle derjenige steht, der uns in Treue mit allem versorgen möchte, was wir zum Leben brauchen, hier und über dieses Leben hinaus. Wie wichtig solche Momente der Erinnerung und Vergegenwärtigung sein können, zeigt sich gerade in Zeiten des Mangels und der Krise. Gleichzeitig drückt Fülle auch aus, mit welcher Großzügigkeit Gott uns Menschen beschenkt. Manchmal wirkt Gottes Wirken in unserer Welt fast verschwenderisch.
Matthäus 6, 28-30
28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. 29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. 30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
Das zeigt der Blick auf die Natur. Welch eine Vielfalt und Üppigkeit an Formen, Farben, Arten, Gerüchen, Geschmäckern und Stoffen uns hier begegnen? Und das im stetigen Wandel der Jahreszeiten. Viele Menschen verspüren beim Anblick von Bergen, Wäldern, Flüssen und Meeren etwas von der Genialität Gottes. Wohl auch deshalb nutzt Jesus häufig Vergleiche aus der Natur, um uns an Gottes Leidenschaft zu erinnern, uns großzügig zu versorgen und zu beschenken. In der Bergpredigt verweist Jesus auf die Lilien, die wild und üppig an den Wegrändern wachsen. Wenn der Vater im Himmel sich schon so sehr um diese wilden Blumen kümmert, wieviel mehr will er sich um uns Menschen kümmern? Fülle umfasst dabei noch viel mehr als die materielle Versorgung. Ausdrücklich geht es auch um die Fülle der Gnade (z.B. Johannes 1,16; Römer 5,17), die Fülle der Freude (z.B. Psalm 16,11) und die Fülle dessen, der „alles in allem erfüllt“ (Epheser 1,23). Normalerweise sehnen wir Menschen uns nach Fülle und der Erfahrung, dass wir so zu innerer Erfüllung finden. Das ergibt sich jedoch nicht zwingend. Gerade materielle Fülle hält nicht immer, was sie verspricht. Über diese Fragen lohnt es sich, immer wieder nachzudenken. Ein Spaziergang durch die Lindauer Gartenschau könnte dafür ein idealer Rahmen sein.
Pfarrer Thomas Bovenschen