Thema Monatsgruß 06/2021
Das Altenheim Maria-Martha-Stift: „Ein bisschen anders sind wir schon“
Das Altenheim am Kleinen See wird in der Trägerschaft des Vereins Evangelische Diakonie Lindau e.V. geführt. Heimleiterin Anke Franke erklärt im Interview, was das Stift von anderen Häusern unterscheidet und warum es bislang so glimpflich durch die Corona-Krise gekommen ist.
Frau Franke, die brennendste Frage gleich zuerst: Wie ist die aktuelle Corona-Lage bei Ihnen im Maria-Martha-Stift?
Ich kann erleichtert sagen, dass wir keinen unserer Bewohner durch die Pandemie verloren haben. Zwar hat es auch bei uns im Laufe der vergangenen Monate vereinzelt positive Tests bei Bewohnern und Mitarbeitenden gegeben. Wir konnten diese Fälle aber durch konsequentes Handeln sofort eindämmen, sodass nie eine ganze Welle durchs Haus gerollt ist.
Wie haben Sie das gemacht?
Unsere Gemeinschaft im Haus lebt in familiären Wohngruppen, die möglichst immer von den gleichen Mitarbeitern betreut werden. Zum Glück haben wir dafür ausreichend tolles Personal und müssen nicht den Mangel verwalten. Sobald das möglich war, haben wir getestet, was das Zeug hält. Fünf Pflegekräfte sind entsprechend geschult, sodass fast immer jemand da ist, der die Tests vornehmen kann. Ich bin sicher, dass das auch der Grund dafür ist, warum wir am Ende weitgehend verschont geblieben sind. Einfach weil uns durch das viele Testen keine Infektionen durchgerutscht sind, die sich dann über Mitarbeitende womöglich etagen-übergreifend im ganzen Haus verbreitet hätten.
Inzwischen sind Ihre Bewohnerinnen und Bewohner ja wieder richtig auf Achse…
Das waren sie schon im Winter. Durch die frühen Impfungen, die fast alle im Haus freudig begrüßt haben, sprach nichts dagegen, wieder Ausflüge zu unternehmen. Unser extra dafür angeschaffter Bus sollte ja keinen Rost ansetzen.
Dass Sie insgesamt ein sehr aktives Haus leiten, hat sich ja über die Grenzen Lindaus herumgesprochen. Stichwort Funk und Fernsehen.
Stimmt. Es gab Zeiten, da haben sich Kamerateams und Journalisten bei uns quasi die Klinke in die Hand gegeben.
Wie erklären Sie sich diese überregionale Aufmerksamkeit durch Spiegel-TV, ARD, ZDF oder Bayerisches Fernsehen?
Ein bisschen anders sind wir schon: Wir haben vor etwas mehr als zehn Jahren angefangen, einen besonderen Weg einzuschlagen. Einen, der sich an der eigentlich total einfachen Frage orientiert, wie ich, wie wir leben wollen, wenn wir ein Alter erreicht haben und in ein Heim ziehen. Ganz egal, ob mit oder ohne Demenz. Wollen wir in einer Art Krankenhaus sitzen ohne nennenswerte Selbstbestimmung? In einem komplett durchgetakteten Umfeld ohne Zufälle oder Überraschungen, in dem individuelle Bedürfnisse keinen Platz haben? Oder würden wir lieber in einem Rahmen wohnen, wo Leben und alles, was dazu gehört, noch stattfinden darf? Wo spontane Unternehmungen möglich sind – so wie bei uns, wenn Bewohner im Sommer den Sonnenuntergang auf der Hinteren Insel mit Cocktails am See genießen. Und zwar nicht nur ein paar Rüstige, sondern alle – auch wenn das ein Riesenaufwand ist. Und mir niemand vorschreibt, wann ich morgens aufzustehen habe. Wenn wir anfangen, Altenpflege von der Seite der Bedürfnisse der Menschen zu denken, ergeben sich daraus viele Dinge ganz von allein. So sind wir schließlich als erstes Haus in ganz Bayern bei der „Eden-Alternative“ gelandet.
Was muss ich mir darunter vorstellen?
Verkürzt gesagt geht es beim „Eden-Konzept“ um den Grundgedanken, dass die größten Übel im Alter Einsamkeit, Hilflosigkeit und Langeweile sind. Nichts mehr machen zu sollen oder zu dürfen, drückt auf die Psyche, weil das Gefühl für die Selbstwirksamkeit verloren geht. Die „Eden- Alternative“ drängt den Klinik-Charakter so weit wie irgend möglich zurück und bindet die Fähigkeiten von Bewohnern aktiv ein – etwa wenn es um kleine Tätigkeiten in der Hauswirtschaft oder Küche geht. Um die Gestaltung der eigenen Wohngruppe. Eden funktioniert auch nur im Einklang mit den Mitarbeitenden aus allen Bereichen. Die Küche ist keine Sperrzone, sondern ein lebendiger Ort, wo Bewohner mit dem Team gemeinsam den Speiseplan schreiben. Das sind nur einige Beispiele. Es gibt noch mehr.
Welche?
Wir versuchen die Teilhabe auf die Welt außerhalb des Heims auszudehnen. Nehmen Sie nur das Generationen-Konzert. Da haben mehr als 100 Laien im Alter zwischen 5 bis 95 Jahren unter professioneller Anleitung im ausverkauften Stadttheater das Publikum zu Tränen gerührt. Überhaupt die Musik: Wöchentlich kommen im Rahmen von „Unter 7 über 70“ die Kleinen aus dem Kinderhaus St. Stephan zu uns und musizieren gemeinsam mit den Bewohnern. Das ist ungeheuer wertvoll in einer Zeit, wo es nicht mehr selbstverständlich ist, dass die eigenen Großeltern im Leben eines Kindes präsent sind. Musik spielt auch bei unserem „Club InTakt“ eine große Rolle, den wir in Kooperation mit der örtlichen Musikschule betreiben und zu dem Senioren aus Lindau herzlich eingeladen sind. Unter professioneller Anleitung von Musikschullehrer Stefan Heitz wird die sogenannte Dalcroce-Rhythmik trainiert. Ein wissenschaftlicher Bewegungsansatz, der Gangunsicherheiten reduziert, Beweglichkeit in Körper und Geist erhält. Oder dass wir unser Tandem intensiv nutzen, mit dem ein Bewohner mit Begleitung trotz körperlicher Einschränkungen um den Kleinen See radeln kann.
Und jetzt noch der Umbau …
Brandschutz, der Wunsch nach mehr Einzelzimmern, zeitgemäße Pflege und Betreuung, mehr Möglichkeiten, auch öffentliche Veranstaltungen im Haus anbieten zu können – die Liste ist lang, warum wir dem Neustart nach den Bauarbeiten so entgegenfiebern. Dass es überhaupt noch mit der Finanzierung der 17 Millionen klappt, war lange Zeit nicht sicher, auch weil einige vom Stadtrat getroffene Entscheidungen nicht unbedingt förderlich waren. Allen Widrigkeiten zum Trotz haben wir es aus eigener Kraft geschafft.
Wie ist der Zeitplan für die Vollendung?
2024 soll alles fertig sein. Und 2026 wollen wir 50 Jahre Maria-Martha-Stift als Pflegeheim feiern. Die Anfänge des Hauses reichen bis 1912 zurück, wo es als Hauswirtschaftsschule errichtet worden ist. Aber das ist eine andere Geschichte.
Das Interview führte Erich Nyffenegger.