Thema Monatsgruß 08/2021

150 Jahre St. Verena

 

Der Kirchturm erzählt

Die Kirche St. Verena hat Geburtstag: Sie ist vor 150 Jahren gebaut worden. Wenn ihre Mauern sprechen könnten, dann hätten sie sicher viel zu erzählen. Deshalb hat der Monatsgruß dem Kirchturm von St. Verena in einem fiktiven Interview eine Stimme verliehen.

 

Grüß dich, lieber Kirchturm, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.
Wie fühlst du Dich?

Super! Ich will natürlich nicht leugnen, dass ich ein paar Alterserscheinungen habe. Deshalb finde ich es klasse, dass ich zu meinem 150.  Geburtstag saniert werde. Das Gerüst, das mich momentan umgibt, engt mich zwar etwas ein. Aber es tut mir gut, dass sich Fachleute mit viel Liebe und Sorgfalt um mich kümmern. Ich freue mich schon darauf, in neuem Glanz zu strahlen – so ähnlich wie damals bei der Einweihung der Kirche St. Verena.

 

Erinnerst Du Dich noch daran?

Natürlich! Es war ein tolles Fest! Nach zweijähriger Bauzeit wurde die Kirche St. Verena am 13. August 1871 eingeweiht. Sie war herrlich mit Blumen und Kränzen geschmückt. Meine Glocken läuteten, Böllerschüsse tönten über Reutin und ein Festzug zog vom Pfarrgarten zur Kirche. Nach der Schlüsselübergabe sang die Gemeinde das Lied „Tut mir auf die schöne Pforte“. Es wurden sogar zwei Gottesdienste gefeiert – einer am Vormittag und einer am Nachmittag. Droben auf der Steig gab es ein festliches Mittagessen und am Nachmittag spielte dort die Harder Kapelle.

 

Und wie feierst jetzt Du Deinen 150. Geburtstag?

Am liebsten mit vielen Gästen! Aber das geht zurzeit leider wegen Corona nicht. Schade! Es waren tolle Veranstaltungen geplant, darunter ein Festgottesdienst, ein Konzert und eine Lichtinstallation.  All das soll nächstes Jahr nachgeholt werden. Etwas Besonderes gibt es aber noch heuer: Ein engagiertes Team hat viel über die Geschichte von Reutin und die Kirche St. Verena, ihre Architektur, ihr Innenleben, ihre Glocken, ihren Friedhof und ihre Pfarrer recherchiert und ein „Lesebuch St. Verena“ verfasst – sogar mit Kindergeschichte und Bastelbogen. Es soll noch vor der
Adventszeit erscheinen. Für mich ist das ein tolles Geburtstagsgeschenk und für viele Gemeindemitglieder sicherlich ein super Weihnachtsgeschenk.

 

Gibt es wirklich so viel zu erzählen? Hat sich denn so viel verändert im Lauf der Jahre? 

Ja, ganz schön viel! Als ich gerade fertig war, habe ich vor allem auf Wiesen geblickt. In Reutin standen längst noch nicht so viele Häuser wie heute. Da es auch St. Joseph und die Christuskirche noch nicht gab, war ich schon etwas Besonderes auf meinem Hügel. Es gab früher auch noch keine Autos in Lindau. Die Menschen sind viel mehr gelaufen. Ja, sogar Strom für elektrisches Licht und die Orgel oder eine Heizung waren zunächst unvorstellbar. Viel hat sich geändert. Aber vieles ist auch gleichgeblieben. Die Menschen lachen und freuen sich über Taufen, Konfirmationen und Hochzeiten und sie sind traurig und weinen, wenn sie Verluste erlitten haben. 

 

Du hast gewiss auch viele verschiedene Pfarrer erlebt?

Oh, das war ein buntes Völkchen. Oft waren es sehr besondere Charaktere. Aber es waren ja auch sehr herausfordernde Zeiten. Pfarrer Georg Kreitmair verließ Reutin 1868, weil sein Einkommen in Reutin so gering war, dass er seine Familie kaum ernähren konnte. Er hatte den Anstoß zum Abbruch und Neubau der Kirche gegeben. In jenen Jahren wurde die Decke mit Balken abgestützt, es bestand unmittelbare Einsturzgefahr. Pfarrer Dr. Julius Wöhrnitz übernahm 1868 Jahr die Pfarrstelle und durfte 1871 die neue Kirche einweihen. Seinem Nachfolger Julius Knöll ist eine Reutiner Chronik und die Gründung des Kindergartens St. Verena im Jahr 1908 zu verdanken. So geht das munter weiter: Jeder Pfarrer hat die Gemeinde St. Verena auf seine Weise geprägt. Einer von ihnen war übrigens Wilhelm Gollwitzer, der Vater von einem der berühmtesten Theologen Deutschlands. All dieser Pfarrergeschichten werden im „Lesebuch St. Verena“ erzählt.

 

Viele Menschen finden es ja ziemlich gruselig auf einem Friedhof.
Fürchtest du dich manchmal oder findest du es einsam hier?

Ach, nein, ganz im Gegenteil. Ich finde die Atmosphäre auf dem Friedhof sehr schön. Es ist hier so ruhig und friedlich. Und es ist fast immer jemand hier. Die Leute gehen gerne die Gräber besuchen oder sie laufen einfach nur so über den Friedhof. Sonntags ist Gottesdienst in der Kirche, das ist besonders schön. Aber es gibt nicht nur menschlichen Besuch. Es schauen auch viele Tiere vorbei: Spinnen, Fliegen, Mäuse und Turmfalken. Das summt und brummt und kreischt nur so in meinem Innern.

 

Warum heißt die Kirche eigentlich St. Verena? 

Schon im Jahr 1275 ist eine Kirche in Reutin urkundlich erwähnt. Der Name St. Verenen-Kirche lässt sich bereits für das Jahr 1319 belegen.
Verena war und ist gerade im Bodenseeraum eine beliebte Heilige. Sie stammt aus Theben in Ägypten und soll von 260 bis 320 n. Chr. gelebt haben. Sie kam über Mailand bis nach Zurzach in der Schweiz und half vielen Kranken. Auch ihre Legende wird im „Lesebuch St. Verena“ erzählt.

 

Was gefällt Dir an der heutigen Kirche St. Verena am besten?

Als Kirchturm hat man sehr viel Zeit, über solche Fragen gründlich nachzudenken. Ich mag besonders das Leichte und Vorläufige in der Kirche. Wenn ich ins Kirchenschiff schaue, sehe ich auf meiner halben Höhe hinter den kleinen Fenstern zum Kirchendachboden farbige Papierfensterbilder. Neben meinen Mauersteinen, die für die Ewigkeit gemacht scheinen, handelt es sich um flüchtiges Papier, das das Licht färbt und in der Adventszeit oft angestrahlt war. Das sind Ergänzungen, die zusammen meine Kirche ausmachen. 

 

Du wirkst als Kirchturm so menschlich. Warum ist das so?

Nun ja, es kommt die Perspektive an. Als Kirchturm von St. Verena habe ich nicht nur eine tolle Aussicht über Lindau und den Bodensee. Sondern ich sehe auch, wie die Menschen hier leben und auf welch vielfältige Weise sie die Gemeinde gestalten. Wenn sie zu mir hochblicken, nehme ich ihre Freude, ihre Ängste, ihr Glück, ihre Sorgen und ihre Sehnsüchte wahr. Dann merke ich, dass es vielen Menschen guttut, in meiner Nähe zu sein. Viele kommen zur Ruhe, zu sich selbst und vielleicht sogar zu Gott. Genau dafür bin ich doch eigentlich da!

 

Verfasst vom Team des „Lesebuch St. Verena“

 

 

Infos zum Jubiläum

Vor 150 Jahren, am 13. August 1871, ist die neuerbaute Kirche St. Verena eingeweiht worden. Der Kirchenvorstand hat die 150-Jahr-Feierlichkeiten jedoch wegen des nicht planbaren Herbstes 2021 auf das Jahr 2022 verschoben. Rechtzeitig vor dem Weihnachtsfest 2021 erscheint das Lesebuch „150 Jahre St. Verena“, das gerne als Geschenk erworben werden kann. Am Samstag, 7. Mai 2022, ist ein Konzert mit der Allgäuer Gruppe „Vuimera“ geplant. Am Sonntag, 8. Mai 2022, wird der Festgottesdienst mit Dekan Dittmar aus Kempten gefeiert, anschließend gibt es ein Fest rund um die Kirche. Am Wochenende 14. und 15. Mai 2022 wird eine Lichtinstallation die Kirche St. Verena in einem neuem Licht erscheinen lassen.