2024 12

Thema Monatsgruß 04/2022

Weg von den Ängsten, hin zum Frieden

 

Gedanken zu einer schockierenden Entwicklung

Am zwölften Tag nach dem Überfall der russischen Streitkräfte auf die Ukraine zieht sich der Belagerungsring um Kiew und andere Städte immer enger. Bis dahin haben bereits zwei Millionen Menschen aus der Ukraine ihre Heimat verlassen, überwiegend Frauen und Kinder, oft nur mit dem wenigen, was sie mit ihren bloßen Händen tragen konnten. Wie konnte das passieren? Ein brachialer Eroberungskrieg mitten in Europa, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung eines Landes mit 40 Millionen Einwohnern, begründet mit höchst fadenscheinigen Argumenten. Eigentlich dachten wir, dass so etwas nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs ausgeschlossen sei.

 

Abschied von einer Illusion

Unsere Fassungslosigkeit und Bestürzung zeigen, wie wenig wir auf eine solche Möglichkeit vorbereitet waren. Das gilt sowohl in mentaler Hinsicht wie auch mit Blick auf die deutsche Verteidigungspolitik der letzten Jahrzehnte. Wir haben geglaubt, der Frieden in Europa sei eine Selbst­verständlichkeit, die nichts kostet und die wir als garantiert verstehen dürfen. Diese Illusion war uns meist sehr recht, erlaubte sie es doch, dass sich unser Volk ganz der Vermehrung von Wohlstand und Konsum widmen konnte. Und nun ist – fast über Nacht – die bisher längste Friedenzeit in der deutschen Geschichte ernsthaft bedroht – mal ganz abgesehen von dem Leiden eines ganzen Volkes, über das die Walze der Zerstörung durch eine der größten Armeen der Welt hinwegfegt. Eigentlich dachten wir, solch imperialistisches Denken sei mittlerweile überwunden. Der Befehl zum Angriff kam vom russischen Präsidenten. Er hat seine Ziele klar definiert. Mögen der angerichtete Schaden und wohl auch die Zahlen der Todesopfer und der Verletzten auch noch so hoch sein, es soll kein Zurück geben, solange die von ihm gesteckten Ziele nicht erreicht sind. Man mag ja noch nachvollziehen können, dass Putin eine neutrale Ukraine lieber wäre als ein weiteres Nachbarland, das sich zur Nato hält. Was eigentlich bestürzt, sind die Skrupellosigkeit bei der Durchsetzung nationalistischer Interessen und die offensichtliche Überzeugung, dass zum Erreichen dieser Ziele jedes Mittel erlaubt ist.

 

Die Realität des Bösen

Diese Art von Denken und Handeln bricht unter uns Menschen leider immer wieder hervor, im Großen wie im Kleinen. Trotz aller Verständigung auf gemeinsame Werte, aller Humanität, aller Errungenschaften der Aufklärung und nicht zuletzt der Prägung unserer Kultur durch den christlichen Glauben sind die zerstörerischen Einflüsse des Bösen Teil unserer Realität. Manchmal wirken sie durch ungerechte Strukturen, manchmal durch einflussreiche Menschen, derer sie sich bemächtigen. Wer die Bibel kennt, weiß, dass Jesus immer wieder auch diese höchst unangenehme Seite menschlichen Lebens angesprochen hat. Weder im Alten noch im Neuen Testament wird die Entwicklung der Menschheit als ein stetiger Prozess hin zu immer mehr Friedfertigkeit und Einheit verstanden. Im Gegenteil: Die Geschichte der Menschheit bewegt sich auf Krisen zu. Zugleich ist es der Beginn von etwas ganz Neuem. Mit dem Kommen des von Gott gesandten Retters geht das Ende einer Welt einher, die leider auch von Gewalt und Krieg geprägt ist. „Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei … denn es wird sich erheben ein Volk gegen das andere erheben und dein Königreich gegen das andere.“ (Mt 24, 6 und 7). Und was die Rolle derer betrifft, die die Macht in ihren Händen haben, ist Jesus nicht minder deutlich: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun.“ (Mt 20, 25). Das ist der Normalfall in der Geschichte der Menschheit. Demokratie, nationale Selbstbestimmung und lange Friedensperioden sind die Ausnahme. Wenn wir in diesen Wochen die Passion, Kreuzigung und Auferstehung Jesu feiern, dann begegnet uns auch in diesem Geschehen der Kampf zwischen den zerstörerischen Kräften dieser Welt und deren Überwindung hin zu einem neuen, unverbrüchlichen Frieden. Auch hier geht es durch die Dunkelheit. So deutet Jesus seine Gefangennahme mit den Worten: „Ich bin täglich bei euch gewesen und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.“ (Lk 22,53).

 

Das letzte Wort

Erst an Ostern zeigt sich, dass die Macht der Finsternis nicht das letzte Wort hat. Das Leben und der Frieden, die Gott gibt, sind stärker als alle zerstörerischen Kräfte, die in und unter uns Menschen wirken. Das zeigt sich zuerst in der Person Jesu Christi selbst. Doch schon bald wird klar, dass alle Menschen aufgerufen sind, an der von Gott ausgehenden Kraft, die alles Böse überwindet, teilzuhaben. Damit wird auch eine neue Qualität von Versöhnung und Frieden möglich. Auch Jesus hat immer wieder deutlich gemacht, dass sein Friedensreich weit über das hinausgeht, was auf unserer Erde und in diesem Leben möglich ist. Hin und wieder allerdings blitzt auch mitten in unserer Welt und mitten in der Geschichte der Menschheit etwas davon auf. Auch, wenn wir manchmal nicht verstehen, warum Gott bestimmte Entwicklungen zulässt, so sollten wir das Vertrauen nicht zu schnell aufgeben, dass Gott in und trotz all dem Leiden nach wie vor Herr auch über die Geschichte der Menschen ist. Dies schließt auch unerwartete Wendungen zum Guten mit ein. Vielen ist dabei die sogenannte Wende, also die friedliche Revolution vor dem Zerfall der DDR noch gut in Erinnerung. Aber es gibt leider auch die Bespiele, das Gewalt, Willkür und Zerstörung scheinbar ungehindert um sich greifen.

 

Friedensstifter

Wer glaubt, dass Gottes Friedenreich schon hier in unserer Welt realisiert werden kann, unterliegt einer Illusion. Doch wer es unterlässt, sich für den Frieden in dieser Welt einzusetzen, sei es aus Bequemlichkeit oder aus dem Streben nach eigenen Vorteilen, der ignoriert den klaren Ruf Jesu. In der Bergpredigt versichert Jesus seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern: „Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Kurz danach fordert er seine um ihre Rangfolge streitenden Jünger auf: „…so soll es unter Euch nicht sein; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht.“ (Mt 20,26-27). Das Vertrauen, dass uns in Jesus Christus begegnet, der umfassend Frieden stiften kann und wird, ruft uns zugleich auf, dass wir selbst zu Stiftern des Friedens werden. Dazu müssen wir der oft ernüchternden Realität in dieser Welt ins Augen schauen. Aber wir dürfen uns dabei nicht lähmen lassen von den Ängsten, die dies in uns auslösen will. Stattdessen gilt es, auch den zweiten Teil der Botschaft Jesu zu hören. Konkret heißt das, uns zu fragen, welche Möglichkeiten in unserem Wirkungsbereich liegen, um denen zu helfen, die durch Gewalt, Willkür und Krieg in große persönliche Nöte gekommen sind. Diese Frage sollte sich auch jeder ganz persönlich stellen. Wir werden manches nicht verstehen, was in unserer Welt geschieht. Aber wir haben eine Perspektive und wir haben einen Auftrag!

 

Pfr. Thomas Bovenschen

 

 

Gebetswand für die Ukraine 

 

Bei einem Friedensgebet für die Ukraine haben Lindauerinnen und Lindauer persönliche Gebete auf Zettel geschrieben.

 

Lieber Gott,

bitte beschütze all die Bürger in der Ukraine. 

Beschütze auch uns vor diesem Unheil.

Lass es bitte bald enden. 

Ich habe Angst.

Wir brauchen jetzt deine Kraft, die uns Mut und Hoffnung gibt. 

Amen

 

Herr, erbarme dich und erlöse uns von dem Bösen!

 

Herr, gib denen, die jetzt vielleicht doch noch zu 

Friedensverhandlungen zusammenfinden, Weisheit und Besonnenheit!

 

Vater, ich bitte dich in Jesu Namen, stopp du die Mächte der Finsternis! Lass nicht zu, dass das Böse gewinnt und ein Volk und vielleicht 

auch uns in die Tiefe reißt! 

Du bist der Herr über alles, auf deine Hilfe vertraue ich. 

 

Wir bitten darum, dass Putin zur Einsicht kommt 

und die Menschen nicht zu sehr leiden müssen.

 

Herr und Vater, schau auf dieses Leid, schenke Kraft 

und Zuversicht all denen, die Angst haben und verzweifelt sind! 

Darum bitte ich dich.

 

Herr, wir dürfen in der warmen Kirche sitzen, sei mit denen,
die in der Ukraine frieren müssen. 

 

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