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2025 02

Thema Monatsgruß 06/2022

Flüchtlingen helfen – „Das Gute wächst durch das Gute“

 

Frank Witzel ist Pfarrer an St. Thomas in Augsburg und Traumatherapeut. Erfahrungen mit Krieg und Flucht kennt er aus der eigenen Familie. Seit seiner Schulzeit kümmert er sich um Geflüchtete. Für den Monatsgruß erklärt er, wie Hilfe für Flüchtlinge und Gewaltopfer gelingen kann und welche Aufgaben dabei auf Gemeinden und Kirchen warten. 

 

 

Warum helfen Menschen derzeit so viel mit spontanen Aktionen?

Frank Witzel: Da paaren sich Nächstenliebe und Abenteuerlust. Man fühlt sich lebendig, ressourcenvoll, erlebt Sinnerfüllung und „Anschluss“. Das ist seelisch gesund und macht glücklich.

 

Bei manchen Freiwilligen hierzulande macht sich erste Erschöpfung bemerkbar.

Frank Witzel: Ja, das gibt es: Menschen, die zuvor allein lebten, sind auf einmal mit anderen eng zusammen. Es gibt Konflikte wie in einer WG: Wer räumt auf, wer nicht? Das ist menschlich. Da soll sich auch niemand überfordern! Persönliche Grenzen umsichtig festzulegen ist gesund, richtig und wichtig.

 

Was verhindert, dass aus Hilfsbereitschaft Frust wird?

Frank Witzel: Nächstenliebe heißt auch, dass es dem Helfenden gut geht. Gutes wächst durch Gutes. Diesen „Flow“ meint der Bergprediger Jesus von Nazareth in den Seligpreisungen: „Glücklich zu preisen ist, wer Gutes tut.“ Ethik trifft auf Neurobiologie: Unsere Spiegelneuronen im Gehirn sorgen dafür, dass Helfende sich über Hilfe genauso freuen wie Empfangende. Aber dieser „Flow“ ist für beide Seiten nicht garantiert. Darum entspricht es helfender Reife, auch einen guten Ausstieg miteinzuplanen. Man kann z.B. sagen: „Ihr seid hier bei uns in der Wohnung herzlich willkommen für die nächsten drei Monate.“ So können sich Gäste zunächst einmal ausruhen, dann in fremder Umgebung eingewöhnen und gegebenenfalls zeitnah nach weiteren Perspektiven Ausschau halten. Das passiert oft ganz von allein, wenn man „Selbstwirksamkeit“, so das Fachwort, auf allen Seiten beachtet. 

 

 

Wem helfen wir? Oft wird gesagt, es sind traumatisierte Menschen.

Frank Witzel: Das stimmt bedingt. Denn die, die jetzt schon hier sind, können oft „selbstwirksam“ handeln. Sie kommen teilweise mit dem eigenen Auto, haben eine gute Bildung, sind finanziell relativ flexibel, gut vernetzt und können hilfreiche Kontakte knüpfen. Das läuft in meinem Erfahrungsbereich gut. Eigentlich müssten Geflüchteten aus allen Ländern so rasch in allgemeine Hilfssysteme und Arbeitsmöglichkeiten eingegliedert werden. Zugleich werden bald Menschen kommen, die länger im Kriegsgebiet ausharren mussten, die wenig bis nichts mehr haben. Häufigkeit und Schwere der Traumatisierungen werden zunehmen. Darum gilt: Hilfsstrukturen jetzt aufbauen! 

 

Woran erkennt man, dass man es mit traumatisierten Menschen zu tun hat?

Frank Witzel: Bei einer sogenannten Traumafolgereaktion sind Menschen in einem Dauer-Alarmzustand oder in einer Dauer-Rückzugs-reaktion, die sich in einem Fluchtverhalten oder depressiv äußern kann. Beides kann sich rasch abwechseln. Zugleich werden hilfreiche Vernetzungen im Denken geschwächt. Es entstehen „Dissoziationen“. Fähigkeiten und Begabungen sind nicht mehr präsent. Betroffene sind dabei oft in Gedanken-, Gefühls- und Wortschleifen gefangen, gerade dann, wenn neue Informationen verarbeitet werden müssen. So werden Problemlösungen und Krisenbewältigungen schwerer.
Betroffenen und Helfenden hilft es zu verstehen, was passiert. Mir ist die Traumapädagogik noch wichtiger als die -therapie. Aufklärung über Traumata hilft den Selbstheilungskräften, die Gott uns schenkt, in breiter Fläche.

 

Ist es nicht eine Überforderung, traumatisierte Menschen bei sich aufzunehmen?

Frank Witzel: Die gute Nachricht ist: Die Prognose ist gut. Zuerst einmal brauchen Menschen Sicherheit und Geborgenheit, Unterkunft, Essen und Trinken. Ihre Grundbedürfnisse, auch die nach „Anschluss“, müssen gestillt werden. Allein dadurch heilt schon ein Drittel von alleine. Ein weiteres Drittel braucht Traumatherapie zur Genesung und das letzte Drittel braucht Hilfe, um dauerhaft mit dem Trauma leben zu können. Die Heilungschancen sind im Vergleich sehr gut. Helfende sollen diese allgemein gute Prognose wissen. Ihre Hilfe wirkt effektiv. Aber Ausnahmen gibt es immer. Dann sollen Helfende sich schnell Hilfe holen. Denen, die Gutes tun, soll es auch gut gehen.

 

Eine Besonderheit ist, dass vor allem Frauen und Kinder zu uns kommen.

Frank Witzel: Ja! Wir sind dazu berufen, auf Kinder zu achten, denn Gott wurde als Kind geboren, Jesus hat Kinder gesegnet, als Kirche taufen wir kleine Kinder. Kinder sind die Zukunft der Welt. Wer sie beschützt, muss auch ihre Bezugspersonen, meist Frauen, schützen – unter anderem vor der Gewalt in unserer Gesellschaft. Ich denke, Politik schaut noch nicht genügend darauf, dass Mütter und Kinder z.B. vor Prostitution und Menschenhandel geschützt werden müssen.  

 

Alles spricht dafür, dass Geflüchtete länger bleiben, manche nie mehr zurückkehren werden. Was bedeutet das für die Kirche, welche Aufgaben hat sie?

Frank Witzel: Bei uns werden Menschen aus Russland und der Ukraine leben. Erste Konflikte gibt es schon. Wir werden von Versöhnung und Frieden in Gottes Namen reden müssen. Christen glauben, dass wir alle gleichwertige Ebenbilder Gottes sind. Begriffe wie Volk, Rasse und Nation sind dadurch relativ. Wir werden davon erzählen müssen, dass auch in unserer Kirche nach Zweitem Weltkrieg und Holocaust viele umkehren mussten, um Frieden zu ermöglichen. Umkehr braucht Klarheit, manchmal auch Zeit. 

 

Interview: Petra C. Harring

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