Thema Monatsgruß 02/2023
Ist die Kirchensteuer (noch) eine gute Idee?
Gedanken eines Nutznießers
Von Pfarrer Thomas Bovenschen
Um es gleich zu sagen: Die bei uns gängige Praxis, das Leben der Kirchen über eine Kirchensteuer zu finanzieren, löst auch bei mir widersprüchliche Gefühle aus. Zunächst muss ich feststellen, dass ich für unser Kirchensteuersystem sehr dankbar bin. Jeden Monat wird mir mit Blick auf meine Kontoauszüge neu klar, dass ich mir über meine Bezahlung als Pfarrer keine Sorgen machen muss. Selbst wenn meine Leistungsfähigkeit durch eine Krankheit eingeschränkt würde, wäre ich gut versorgt. Die Höhe meiner Einkünfte schwankt auch nicht auf und ab, je nach inhaltlicher Zustimmung zu den letzten Predigten.
Zunächst muss ich feststellen,
dass ich für unser Kirchensteuersystem
sehr dankbar bin
Ein Freund von mir, Pastor im Südosten der USA, muss regelmäßig mit seinem Gemeindevorstand aushandeln, wieviel ihm die Gemeinde für seinen Dienst bezahlt. Häufig richtet sich die Höhe nach der Größe der Gemeinde oder nach der Zahl der Gottesdienstbesucher. Das bewirkt einen großen Erfolgsdruck und schafft mitunter auch Abhängigkeiten, wie man sie aus der Industrie kennt. Andererseits, und auch das muss man ehrlich sagen, kann ein solches System auch motivierend wirken.
Weltweit gesehen ist unser Kirchensteuersystem eher eine Ausnahme. Es erklärt sich aus unserer Geschichte. Seit der Trennung von Kirche und Staat mit dem Ende des Kaiserreiches muss sich die Kirche auch bei uns selbst finanzieren. Den weitaus größten Teil ihrer Einnahmen bekommt die Organisation Kirche von ihren Mitgliedern. Dass diese Gelder zunächst vom Finanzamt einbehalten werden, ist auch ein Ausdruck der allgemein anerkannten Bedeutung der Kirche bei ihrer Wahrnehmung von wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben. Die Einziehung und Weiterleitung der Kirchensteuer lässt sich der Staat übrigens von der Kirche als Dienstleistung bezahlen. Schaut man die Seite der Ausgaben an, so kann man schnell feststellen, dass der größte Teil der Einnahmen durch die Kirchensteuer für die Deckung der Personalkosten verwendet wird.
Anders als bei uns finanzieren sich die meisten Kirchenorganisationen durch freiwillige Beiträge und einzelne Gaben ihrer Mitglieder, die in den Ortsgemeinden gesammelt und zum größten Teil auch dort eingesetzt werden, in finanzieller Eigenverantwortung.
Es gibt berechtigte Argumente gegen das System der Kirchensteuer. Wenn es in der Kirche um Erfahrungen mit dem Wirken Gottes, um den Zuspruch seiner Hilfe und Gnade und um Wegweisung durch sein Reden in der Bibel geht, dann sind dies eben keine Dienstleistungen oder Produkte, die von Menschen hergestellt werden. Es sind Momente der Zuwendungen Gottes, ganz und gar geschenkt. Wie verträgt sich dies mit einer verpflichtenden Bezahlung?
Unsere Kirchensteuer
wirkt wie ein Mitgliedsbeitrag
Doch auf der anderen Seite gab es schon immer Menschen, die das Erleben von Gottes Segen und Gnade zum Anlass nahmen, um Gott ein Dankopfer zu bringen. Bereits im Alten Testament werden die Gläubigen aufgefordert, als Dank für Gottes Erwählung, Treue und Güte regelmäßig den Zehnten zu geben. In vielen Kirchen auf der Welt wird dies mit gewissen Abwandlungen noch heute so praktiziert. Unsere heutige Praxis der Kirchensteuer wirkt allerdings eher wie die Erhebung eines Mitgliedsbeitrags. Er geht Hand in Hand mit der formalen Zugehörigkeit zu einer kirchlichen Organisation und beinhaltet den Anspruch auf pastorale Dienstleistungen wie z.B. Taufen, Trauungen und Beerdigungen. Kein Wunder, dass selbst manche Kirchenmitglieder die Kirche in erster Linie als eine Institution verstehen. Persönliche Bezüge ergeben sich, wenn überhaupt, nur punktuell bei besonderen Anlässen. Dass der Kirche dennoch die Treue
gehalten wird, liegt häufig am ihrem diakonischen Wirken.
Andere treten aus der Kirche aus. Meist sind ihnen die Kosten ihrer Kirchenmitgliedschaft zu hoch. Gleichzeitig haben die Erfahrungen, die man im Gottesdienst und in der Kirche machen kann, für viele von ihnen keine wirkliche Relevanz. Und wieso soll ich für etwas zahlen, was mir eigentlich nicht wichtig ist? Es gibt aber auch andere.
Ihnen ist der christliche Glaube persönlich wichtig. Aber muss man dazu in der Kirche Mitglied sein? Hier spiegelt sich ein allgemeiner Trend hin zu einer Individualisierung wieder, der Institutionen generell kritisch gegenübersteht.
Unser System der Kirchensteuer stellt
die Organisation Kirche in den Vordergrund
Manchmal kommt es mir so vor, dass unser System der Kirchensteuer den Blick dafür verstellt, was Kirche eigentlich sein will. Wer denkt heute, wenn er von Kirche hört, an eine lebendige Gemeinschaft von Menschen, die Glauben und Leben miteinander teilen? Genau hier läge aber der Schlüssel!
In einer Gemeinschaft ist es selbstverständlich, dass jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten zum gemeinsamen Leben beiträgt. Das geschieht in der Regel auch durch das Teilen von Ressourcen. Eine ganz entscheidende Frage könnte daher sein, inwieweit wir Kirche als Gemeinschaft erleben, an der wir auch persönlich teilhaben?
Die Kirchensteuer ist eigentlich
eine sehr gerechte Regelung
Auch in einer Gemeinschaft verfügt nicht jeder über die gleichen Möglichkeiten. Meist gibt der, der mehr hat, auch mehr an die Gemeinschaft weiter. Das erscheint uns in der Regel als gerecht und sozial. Es entspricht der Sendung Jesu, wenn Kirche sich als Solidargemeinschaft organisiert. So gesehen ist eine Kirchensteuer, die sich mit einem bestimmten Prozentsatz an der Einkommensteuer und damit am Einkommen selbst orientiert, eine sehr gerechte Regelung.
Wie so oft gibt es nicht die eine einzige Möglichkeit. Vielleicht müssen wir in einige Jahren eh über ein neues Finanzierungssystem nachdenken. Die zurückgehende Identifikation größerer Bevölkerungsteile mit der Kirche und Vereinheitlichungsbestrebungen in der EU könnten dies schon bald bewirken. Wie kann es dann gelingen, das Leben in der Kirche und ihre vielfältigen Dienste zu finanzieren? So manches wird dann davon abhängen, dass möglichst viele Menschen die Kirche wieder als eine Gemeinschaft erleben, in deren Mitte sie etwas gefunden haben, was für ihr Leben von großer Wichtigkeit ist.
Vieles wird zukünftig davon abhängen,
dass die Menschen die Kirche
wieder als eine Gemeinschaft erleben