Thema Monatsgruß 12 | 2025 - 01 | 2026
Eine unglaubliche Entscheidung
Für viele Menschen ist das Weihnachtsfest von festen Abläufen bestimmt, die jedes Jahr fast unverändert wiederkehren. Das gilt auch für die Gottesdienste in den Gemeinden. Wehe, da wird allzu viel geändert! Das Familienleben ist in der Weihnachtszeit und oft Wochen davor von unzähligen Verpflichtungen geprägt. Weihnachtsgrüße sind zu schreiben, passende Geschenke zu finden, Festessen vorzubereiten und Besuche so geschickt zu planen, dass sie sich in die oft wenigen freien Tage unterbringen lassen. Viele sprechen vom Stress der Festtage. Die Aufmerksamkeit liegt dabei vor allem auf den Abläufen und der Gestaltung eines ansprechenden Rahmens.
Gewohnheiten und Bräuche sind ohne Frage wichtig. Sie bilden einen Rahmen, den die Beteiligten brauchen, um gemeinsam wichtige Feste zu feiern. Mindestens genauso wichtig ist aber die Beschäftigung mit dem Inhalt eines Festes. Das gilt umso mehr, wenn es schon seit langer Zeit gefeiert wird. Wenn alle Aufmerksamkeit dem äußeren Rahmen gilt, dann besteht die Gefahr, dass entweder bald kaum jemand noch weiß, was wir da eigentlich feiern, oder aber der Inhalt austauschbar wird.
Was also feiern wir an Weihnachten?
Immerhin ist vielen noch bewusst, dass es um die Geburt Jesu geht. Der Zimmermannssohn aus Nazareth kommt fern seiner Heimat in einem Stall in Betlehem zur Welt.
Bleibt man hier stehen, ist dies zunächst die Geschichte eines jüdischen Ehepaares, das zum Opfer römischer Herrschaftsmechanismen wurde und sein Kind unter etwas misslichen Umständen zur Welt bringen musste. Sehr romantisch klingt auch das nicht.
Früher oder später drängt sich die Frage auf, was dieses neugeborene Kind mit uns zu tun hat? Wer ist dieser Jesus von Nazareth?
Immer wieder stoße ich in Gesprächen darauf, dass selbst Menschen, die der Kirche sehr verbunden sind, völlig trennen zwischen der Person Jesu einerseits und Gott andererseits. Jesus wird dann als vorbildlicher Mensch, Kämpfer für Gerechtigkeit oder als Botschafter Gottes gesehen.
Dabei liegt die eigentliche Botschaft von Weihnachten genau darin, dass es eben Gott selbst ist, der in dem Kind in der Krippe zu uns kommt.
Das bringen auch viele Weihnachtslieder klar zum Ausdruck.
So heißt es in der dritten Strophe von „Vom Himmel hoch, da komm ich her“:
„Er ist der Herr Christ, unser Gott, der will uns führn aus aller Not,
er will eu‘r Heiland selber sein, von allen Sünden machen rein.“
In der neunten Strophe erkennen wir in dem Kind in der Futterkrippe den Schöpfer aller Ding: „Ach Herr, du Schöpfer aller Ding, wie bist du worden so gering, dass du da liegst auf dürrem Gras, davon ein Rind und Esel aß.“
Im ebenfalls sehr bekannten Lied „Herbei, o ihr Gläub‘gen“ wird in der zweiten Strophe der Sohn Marias als „Herrscher der Heerscharen und König der Ehren“ bezeichnet.
Diese zentralen Aussagen über die Identität Jesu waren schon in der Welt der frühen Christenheit eine krasse Zumutung. Sie sind es noch heute. Wie kann es sein, dass der Schöpfer und Herrscher des Universums gleichzeitig als Mensch auftritt und wirkt? So gesehen ist die Botschaft von Weihnachten alles andere als eine friedliche Nachricht. Im Gegenteil: Sie bringt alles durcheinander. Die Trennung zwischen einem göttlichen Himmel und einer menschlichen Erde ist durchbrochen.
Es wird immer Menschen geben, die von Gott nichts wissen wollen. Sie wollen lieber ihre eigenen Götter sein, unabhängig und absolut selbstbestimmt. Wenn wir aber zu den Menschen gehören, die an die Existenz Gottes glauben, verbunden mit der Ansicht, dass Gott uns höchst Wichtiges für unser Leben zu sagen hat, dann kommen wir an Jesus Christus nicht vorbei. Denn, so das zentrale Zeugnis des Neuen Testamentes, es ist kein anderer als Gott selbst, der uns in ihm begegnet.
Diese Botschaft ist vor allem deshalb so anstößig, weil sie nichts anderes bedeutet, als dass Gott mit seiner Menschwerdung seine Göttlichkeit aufgibt. Eine schier unglaubliche Entscheidung!
Das kommt auch in der dritten Strophe des Weihnachtsliedes „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich“ zum Ausdruck. Dort heißt es:
„Er äußert sich all seiner G‘walt, wird niedrig und gering und nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding, der Schöpfer aller Ding.“
Kann er dann noch Gott sein? Nach klaren Verhältnissen klingt das nicht. Anders ausgedrückt: Das sprengt völlig das Konzept der Vorstellungsmöglichkeiten von uns Menschen.
Das Neue Testament mit seiner Weihnachtsbotschaft versteht dies jedoch ganz anders: Genau hier findet die Liebe Gottes zu uns Menschen ihren tiefsten Ausdruck. In seiner Liebe zu uns geht Gott sogar so weit, dass er seine Göttlichkeit aufgibt und Mensch wird.
Vielleicht ahnen wir, dass dies eine völlig andere Nähe zwischen uns und Gott ermöglicht. Gott mitten unter uns, hier und jetzt! Gott auch in meinem Leben! Ganz nah und erfahrbar! Was für eine Veränderung!
Du König der Ehren, Herrscher der Heerscharen, verschmähst nicht zu ruhen in Marien Schoß, Gott, wahrer Gott von Ewigkeit geboren. O lasset uns anbeten, o lasset uns anbeten, o lasset uns anbeten den König!
(2. Strophe des Liedes „Herbei, o ihr Gläub’gen“)
Pfarrer Thomas Bovenschen



