Thema Monatsgruß 10-11/2023

50 Jahre Orgel in St. Verena

Die Orgel in St. Verena wird 50 Jahre alt! Das ist ein Anlass für Sven Dartsch, den Organisten von St. Verena, über diese besondere
Orgel, aber auch über die Orgel an sich nachzusinnen.

 

Es ist Sonntag, ich habe frei und nehme dort Platz, wo ich immer sitze, letzte Bankreihe unter der Empore, Kirche St. Verena. Ich lausche dem Geläut der Glocken, die pünktlich um Viertel nach zehn zum Gottesdienst einladen. Kaum verstummt die letzte Glocke, ein Moment der Stille, dann beginnt das Orgelvorspiel.

 

Wer an die Orgel denkt, assoziiert damit meistens Musik in der Kirche. Doch das größte aller Musikinstrumente ist ursprünglich ein weltliches Instrument, erfunden vor über zweitausend Jahren in Griechenland. Ktesibios erfand für seinen Vater, der ein Barbiergeschäft führte, im dritten Jahrhundert vor Christus einen höhenverstellbaren Spiegel und konstruierte dazu eine wasserbetriebene Pumpe. Durch Zufall entstand ein Instrument (griech. Hydraulos), welches einige Ähnlichkeit mit unserer Orgel hatte. Es enthielt ein Register, Pfeifen und eine Windlade und wurde mittels einer Klaviatur gespielt. Die Wasserorgel erfreute sich schon bald großer Beliebtheit, die Griechen veranstalteten Wettbewerbe, bei denen die Teilnehmer ihre Kunstfertigkeit auf dem neuartigen Instrument zum Besten gaben. Die Römer untermalten mit den Klängen des antiken Zirkusinstrumentes Gladiatorenkämpfe. Im 8. Jahrhundert kam die Orgel dann als diplomatisches Gastgeschenk nach Zentraleuropa. Im 13. Jahrhundert zog sie in die Kirche ein. Erst im 17. Jahrhundert begann man, mit der Orgel den Gemeindegesang zu begleiten. Mozart war es, der 1777 in einem Brief an seinen Vater die Orgel als „König der Instrumente“ lobte. Von nun an gewann die Orgel zunehmend an Bedeutung, sie wurde Mittelpunkt des musikalischen Lebens durch ihre beeindruckende Größe und ihren überwältigenden Klang.

 

Wie sollte also solch ein Instrument in der anno 1871 neu gebauten Kirche St. Verena fehlen? Die Orgel, deren Klang den Glanz der kirchlichen Zeremonien wunderbar zu steigern vermag und der man zuspricht, die Herzen mächtig zu Gott und zum Himmel emporzu­heben und wie Albert Schweitzer so treffend bemerkte: „Eine Kirche ohne Orgel ist wie ein Körper ohne Seele!"

 

Zum Gelingen des Gottesdienstes sollte ab dem Jahr 1871 zunächst eine elektropneumatische Orgel mit deutsch-romantischer Klangausrichtung beitragen. Die Gestaltung des neogotischen Orgelgehäuses nahm Rücksicht auf das im Giebel der Kirche befindliche Rosettenfenster, das besonders bei entsprechender Sonneneinstrahlung schön zur Geltung kam.

 

Gebaut wurde diese Orgel von der Firma Steinmeyer, einem Traditionsunternehmen aus Oettingen. Georg Friedrich Steinmeyer baute 1860 bereits eine große Orgel für die Kirche St. Stephan auf der Lindauer Insel, von der noch einige Pfeifen in dem aktuellen Instrument erklingen. Um 1900 folgte der Bau einer pneumatischen Orgel für die Christuskirche, die heute noch genutzt wird. Wer also den Klangeindruck einer solchen Orgel wie seinerzeit in St. Verena gewinnen möchte, hat die Möglichkeit, in der Christuskirche eine historische Steinmeyer-Orgel zu hören.

 

Da erklingt sie wieder, die Orgel. Sie reißt mich aus den Gedanken. Eine sanfte Intonation für den an der Liedtafel angeschlagenen Choral. Die Musik trägt mich, ich fühle mich berührt vom Glauben. In herausragender Art und Weise fühle ich mich Gott nahe. In dem gesungenen Text schwinge ich zwischen Hoffnung und Zweifel, in Zusammenklang und Dissonanz. Ich spüre Gemeinschaft mit der versammelten Gemeinde, die singt.

 

Ergriffen von dem raumerfüllenden Klang der neuen Orgel war auch die Festgemeinde, die am Sonntag, den 18. November 1973 bei der Einweihung des neuen Instruments in St. Verena dabei war. Mit viel Musik und dem herrlichen Klang aus den insgesamt 1188 Pfeifen beeindruckte die Vielfalt die Zuhörer. Zum Einbau der Albiez-Orgel entschied man sich nach kontroversen Diskussionen. Die alte Steinmeyer-Orgel hatte unter der Feuchtigkeit der Wintermonate gelitten, eine Renovierung war kostspielig. Man wünschte sich ein dem Zeitgeist entsprechendes Instrument mit neobarockem Klangbild. Mit Hilfe von Spenden konnte der ortsansässigen Firma Winfried Albiez der Neubau in Auftrag gegeben werden. Bis heute begeistert uns die Orgel. Ihre Prinzipale und Bässe können den Donner grollen lassen, die spitz klingende Quinte, Cymbel oder Terz lassen den Blitz zucken, die Flöten verwirbeln sanft die Schneeflocken, mit anderen Stimmen dazu gemischt erleben wir einen Schneesturm. Doch auch Stille, Ruhe und Trost können durch die Orgelmusik dargestellt werden.

 

Das enorme Repertoire an Klangfarben wird am besten in der Osterzeit erlebbar. Während der Passion wird die Orgelmusik immer ruhiger und leiser, bis sie an Karfreitag gar ganz verstummt. An Ostern erleben wir dann die (musikalische) Wiederauferstehung – Halleluja!

 

Noch immer sitze ich in der letzten Reihe, die Gemeinde singt als Segenslied aus dem evangelischen Gesangbuch „Verleih uns Frieden gnädiglich“ von Martin Luther. Ich lasse mich tragen von der Musik und stimme mit ein in den Gesang der Gemeinde. Der Inhalt der Liedstrophe ist schnell zusammengefasst. Das Menschenleben besteht aus vielen Konflikten, Frieden verleiht uns Gott allein. Eindrücklich ist der arhythmische Verlauf der Melodie. Die Betonung beim Singen scheint der Sprachmelodie in die Quere zu kommen. Was wären diese Gedanken ohne Musik? Der Organist schließt mit einem improvisierten Postludium auf der Orgel. Er verarbeitet nochmals den Gemeindegesang, greift Gedanken der Predigt musikalisch auf und schließt mit Luthers gnädiglichem Frieden. Als der letzte Orgelton verhallt, kehrt Stille ein in St. Verena. Keiner wagt es aufzustehen. Für eine kurze Zeit sind wir Gott wieder ein Stück nähergekommen.

 

Sven Dartsch, Organist in St. Verena

 

 

Die Orgel in St. Verena

Stimmtonhöhe:a1 = 440 Hz bei 17° C

Stimmung:gleichstufig

Windladen:Schleifladen

Spiel- und Registertraktur: mechanisch

Anzahl Register: 19 (7 im ersten Manual,6 im zweiten Manual und 6 im Pedal)

Manuale:2 + Pedal

Spielhilfen:Normalkoppeln als Züge und Tritte, Brustwerk über Schwell­türen schwellbar, Tremulant im Schwellwerk

Pfeifen: 1188(560 im ersten Manual, 448 im zweiten Manual und 180 im Pedal)

Frequenz-Umfang: ca. 32 Hz bis 8.400 Hz

Tastenumfang: C-g3

Pedalumfang: C- g1 

Kleinste Pfeife:ca. 0,8cm

Größte Pfeife: ca. 2,40 m

 

Monatsgruss

Thema Monatsgruß 04 05 /2024

Zurück an die Quelle – Zugänge zur Bibel

 

Die meisten von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gehören wahrscheinlich zu der deutlichen Mehrheit von Menschen, die…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 02 03/2024

Fasten

 

Manche Menschen beschäftigen sich in der Passionszeit nicht nur intensiver mit biblischen Texten, sondern sie fasten auch. Eine bekannte Fastenaktion der…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 12/2023. 01/2024

Suchet der Stadt Bestes – ein Auftrag für Christinnen und Christen

 

Manchmal erschreckt es mich, wie wenig sich unsere Lebensweise als Christen von anderen…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 09/2023

Konfirmation

 

Highlights mitten im Wandel – die Kurse für Jugendliche zur Vorbereitung auf die Konfirmation

Konfirmationsfeiern erfreuen sich nach wie vor großer…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 06/2023

Wie kommt Gott in die Herzen, Hände oder Köpfe der Kinder?

Religionspädagogin Ute Keßler-Ploner und Pfarrer Jörg Hellmuth haben sich Gedanken zu dieser Frage gemacht. 

Ich…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 04/2023

Die Welt ist bunt – Gott sei Dank!

Seit Januar dürfen in der EU nun auch Grillen und Getreideschimmelkäfer als Lebensmittel verkauft werden. Befürworter und…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 02/2023

Ist die Kirchensteuer (noch) eine gute Idee?

Gedanken eines Nutznießers
Von Pfarrer Thomas Bovenschen

Um es gleich zu sagen: Die bei uns gängige Praxis, das Leben der weiterlesen

Thema Monatsgruß 12/2022 - 01/2023

Weihnachten in Sicherheit

Drei Interviews

Sicherheit erleben – diese Sehnsucht haben viele Menschen. Drei Gemeindemitglieder aus verschiedenen Alters- und

weiterlesen

Thema Monatsgruß 10/2022

Der evangelische Friedhof St. Verena

Der Friedhof rund um St. Verena in Lindau ist ein besonderer Ort: Er ist der einzige evangelische Friedhof in Lindau. Verwaltet wird er…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 08/2022

Ruhe finden im Urlaub

In Lindau und Wasserburg tost während der Sommermonate das Leben. Da wird viel geboten – und wenn es auch nur ein schönes Relaxen in den Schwimmbädern…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 06/2022

Flüchtlingen helfen – „Das Gute wächst durch das Gute“

 

Frank Witzel ist Pfarrer an St. Thomas in Augsburg und Traumatherapeut. Erfahrungen mit Krieg und Flucht kennt er…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 04/2022

Weg von den Ängsten, hin zum Frieden

 

Gedanken zu einer schockierenden Entwicklung

Am zwölften Tag nach dem Überfall der russischen Streitkräfte auf die Ukraine zieht…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 02/2022

Was uns Hoffnung gibt

 

 Jugendliche haben sich kürzlich zur luv oase im Freien vor dem neuen kiez getroffen. Kalt und dunkel ist es gewesen, ein wärmendes Feuer hat…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 12/2021 – 01/2022

Weihnachten – Fest der Musik und des Staunens

 

In einer Welt voller Strukturen, Planungsprozesse und Auswertungen bleibt nicht viel Platz für Überraschungen und…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 10/2021

kIez: kirchliches evangelisches Zentrum Lindau

 

Das neue Zentrum ist ein Hingucker: modern, hell und behindertenfreundlich. Schon die Architektur drückt aus, wie sich…

weiterlesen

Thema Monatsgruß 08/2021

150 Jahre St. Verena

 

Der Kirchturm erzählt

Die Kirche St. Verena hat Geburtstag: Sie ist vor 150 Jahren gebaut worden. Wenn ihre Mauern sprechen könnten, dann hätten…

weiterlesen