Thema Monatsgruß 06/07 2020

#hoffnunghamstern

 

„Weiter, weiter, weiter“ oder „alles hat seine Zeit“

Johannetta Cornell und Toby Bernhard

Für viele von uns stand und steht der Alltag beunruhigend still. Gerade mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen, für die wir vor allem da sind, wurde schnell klar: Die Corona-Pandemie bringt weitreichende Veränderungen mit sich! Vor einer gefühlten Ewigkeit wurden Schulen geschlossen, Videokonferenzsysteme erprobt und Online-Unterricht eingeführt. Der Alltag verschiebt sich für junge Menschen in eine bisher noch nie dagewesene neue Richtung: digitale Welt OHNE das tägliche Erleben physischer Freundschaften, ohne tägliche Aufgaben, ohne den vollen Schulbus, ohne Training und Tanzstunden, ohne Treffen im Jugendkeller oder beim Jugendgottesdienst. Im Herbst letzten Jahres unvorstellbar – und damals für den einen oder die andere vielleicht sogar ein wunderbarer Traum: zu Hause bleiben, keine Schule, alles digital. Vor inzwischen sieben Jahren begannen die Überlegungen für etwas Anderes, beinahe Unvorstellbares, Neues: Die Idee einer eigenen Jugendkirche in Lindau. Seitdem ist viel passiert. Zwischendrin stand die Welt der Planungen ebenso still wie der Alltag der letzten Wochen. Dennoch sind inzwischen unzählige Besprechungen und Planungstreffen, stapelweise Papier und einiges an Geld in dieses Vorhaben geflossen. Und obwohl sich die ganze Welt im Frühjahr 2020 etwas langsamer dreht: Auf der Baustelle geht es weiter und weiter und weiter! Inzwischen ist der Rohbau des Kellergeschosses beinahe fertig, die ersten Wände ragen nach oben. Nun erkennt man die Größe dieses Neubaus, welcher Jugendkirche, Gemeindehaus und Pfarrbüros beherbergen wird. Und die ersten Besucher gibt’s auch schon: Manche schauen regelmäßig an der Baustelle vorbei und können es kaum erwarten, bis wir endlich einen Neubeginn in Aeschach feiern dürfen. Das kiez entsteht! Ein Ort des lebendigen Miteinanders, des analogen Treffens, der Begegnung. Auch wenn das Fest der Grundsteinlegung verschoben werden musste: Wir werden gemeinsam feiern, sobald wir können! Und bereits jetzt sei danke gesagt: Den Bauarbeitern, die seit Wochen täglich weitermachen. Den Planern, den Verantwortlichen, den Spenderinnen und Spendern. Und Gott, der dazu seinen Segen gibt, der den Bau nicht hat stillstehen lassen.

So hat eben ein jegliches seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Prediger 3,1

 

 

 

Wie ein Kleid aus Erfahrungen mit Gott 

Petra Harring 

Nur noch wir fünf. Es war ein schöner Abend – essen, tanzen, neue Leute kennenlernen. Jetzt stehen wir alle in der Küche zusammen und die Gespräche werden intensiver, persönlicher. Wir sind ungefähr gleich alt, es beschäftigen uns die gleichen Dinge. Wenn einer erzählt, dann rührt es mich ganz tief an, ja, genauso habe ich es auch erlebt, ich bin damit ja gar nicht allein. Glück ist für mich in diesem Moment, genau hier zu sein, mit diesen Menschen. Wenn meine Uraltfreundin erzählt, dann fühlt es sich fast so an als hätte ich das selber erlebt.
Wir können manchmal sogar lachen, so absurd kann das Leben sein. Und wenn die andere erzählt, dann malt sie mit ihrer Sprache so wunderschöne Bilder, dass ich weiß, die nehme ich mit und bewahre sie auf, diese Hoffnung – wie ein Kleid, in das sie mich schlüpfen lässt und sagt: Dir passt es auch. Und als ich nach Hause gehe, da bin ich
so beschenkt und das Leben fühlt sich reich und wahr an.

So fühlt es sich für mich auch an, wenn ich in der Bibel jemandem begegne, der mich in sein Kleid an Glauben, an Erfahrung mit Gott schlüpfen lässt und sagt: Passt dir auch. Ich liebe diese Bilder aus Sprache, weil meine Seele sie längst vor meinem Kopf versteht. Ich bin verliebt in die tiefe Symbolik und immer wieder in die Poesie; das Beste, Schönste, Reichste ist gerade gut genug für Gott. Und wie ich mich freuen kann, wenn ich wieder etwas mehr entdecke, wie eine Taucherin, die etwas Neues an die Oberfläche holt. Und dann gibt es auch Sätze, in die ich versuche hineinzuschlüpfen und merke, die passen mir nicht. Noch nicht, weil meine Lebenserfahrung dafür nicht ausreicht? Sie rührt mich an, die Bibel, sie schenkt mir Menschen, denen es genauso geht. Sie malt mir Bilder der Hoffnung, zu der meine Seele sich schon flüchten kann, wenn der Kopf sich noch Sorgen macht. Da ist der kinderlose Abraham, den Gott unter den Sternenhimmel stellt und ihm sagt: So viele Nachkommen wirst du haben. Da ist die Geschichte, die Kinderaugen und die von politischen Visionären zum Leuchten bringt: Der kleine David schafft den großen Goliath. Da ist Jesus, der seinen Freund Petrus herauszieht aus tödlich-verschlingenden Wassermassen. Da ist mein Lieblingspsalm, der mir den Spiegel vorhält: Herr, du erforschest mich und kennest mich und die großartige Vision am Ende der Bibel: Gott wird abwischen alle Tränen von unseren Augen. Wie in einer Familie, wie unter Freunden geben wir diese Geschichten und Erfahrungen weiter. Und wenn sie in mir anfangen lebendig zu werden, dann fühle ich mich glücklich und reich beschenkt. 

 

 

Tagebuch einer Krise 

Thomas Bovenschen 

1. Phase: Die Ausbreitung des Virus ist beängstigend! Was bedeutet das für uns als Kirchengemeinde? Wie können wir Ansteckungsrisiken vermeiden und doch als ein Ort wirken, an dem Menschen Halt und Hoffnung finden? Wie treffen wir uns noch zu einzelnen Gottesdiensten?

2. Phase: Alles wird dichtgemacht. Es tut weh, die vielen schönen, teils gut geplanten Veranstaltungen abzusagen. Am meisten fühle ich mit den Paaren, die sich auf ihre Hochzeit gefreut haben. Sollen wir Nachholtermine festlegen? Auch dazu scheint die Entwicklung zu ungewiss.

3. Phase: Viele fragen sich: Wie können wir als Christen dabei unterstützen, diese Krise zu bewältigen? Mitglieder des Kirchenvorstands initiieren tolle Ideen: Videoaufnahmen von Gottesdiensten fürs Internet, einen praktischen Hilfsdienst sowie eine Telefonverbindung für Seelsorgegespräche. Alle Gemeindemitglieder ab 80 werden angerufen, ebenso Jubilare. Wow! Das bringt allerdings auch viel Organisation mit sich. Momente der Stille, die die Krise auch für mich als Pfarrer ermöglicht, finde ich am ehesten, indem ich mich am frühen Abend in die nun zeitweise geöffnete Christuskirche setze.

4. Phase: Obwohl sich fast alles auf digitale Kommunikation oder Telefon ver­lagert hat, kommen ermutigende Rückmeldungen. Die Anrufe und die Gottesdienstaufnahmen aus vertrauten Räumen und mit vertrauten Gesichtern können offensichtlich doch ein Stück Gemeinde vor Ort spürbar werden lassen. Und selbst beim stillen Gebet in den
Kirchen fühle ich eine Verbundenheit mit den anderen Anwesenden.

5. Phase: Mit Dankbarkeit und Erleichterung nehme ich wahr, dass sich die Ausbreitung des Virus verlangsamt. Das Chaos ist ausgeblieben. Gott sei Dank dafür! Doch was will Gott uns durch diese Krise sagen? Für mich und meine Familie brachte sie bisher nur ein paar Einschränkungen und die Erfahrung, wie schnell sich Lebensumstände und Arbeitssituationen ändern können. Für andere wurde es richtig existenziell.

6. Phase: Es gibt erste Lockerungen. Wir können wieder Gottesdienste mit Gemeinde feiern. Schneller als gedacht. Andererseits: Das Virus wird uns noch länger begleiten. Und damit auch die Frage, was Gott durch uns als Christen in dieser Herausforderung bewirken möchte. Doch jetzt ist erst mal Zeit zum Danken.

 

 

Meine Hoffnung und meine Freude

Jörg Hellmuth 

 

1. Ich versuche, ausreichend zu schlafen, mindestens acht Stunden. Nur so habe ich Kraft für den Tag. 

2. Ich gebe meinem Körper so viel Bewegung, wie er braucht. Ich radle oder gehe zu Fuß, durch den Wald, über Wiesen, am See, bei Sonnenschein und Wärme, aber auch im Regen, am besten barfuß.

3. Ich esse, bevorzugt Obst und Gemüse.

4. Ich übe mich im Vertrauen. Ich achte auf meinen Atem und sage mir dabei vor:

Luft, die alles füllet, 

drin wir immer schweben, 

aller Dinge Grund und Leben.

Meer ohn Grund und Ende, 

Wunder aller Wunder, 

ich senk mich in dich hinunter.

Ich in dir, du in mir, 

lass mich ganz verschwinden,

dich nur sehn und finden. 

Wie Petrus versuche ich, von mir und meinen Ängsten abzusehen und meinen Blick auf Christus zu richten: Petrus stieg aus dem Boot und
ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken. (Matthäus 14, 29-30)

Ich lese bei Paulus im 8. Kapitel des Römerbriefs über das Seufzen der Schöpfung, über die Sehnsucht nach Erlösung, über das Hoffen auf das, was man nicht sieht.

5. Ich wende mich meinen Kindern, meiner Freundin, meinen Freunden zu. Ich telefoniere lange. 

6. Ich arbeite. Ich versuche, mich auf die Menschen und die Aufgaben zu konzentrieren, die mir gegeben sind.

7. Ich höre Musik, die mich aufbaut, z.B. „Opening“ von Philipp Glass, gespielt von Christoph Sietzen (https://www.youtube.com/watch?v=oVqpIN2z-6E) oder 

„Lobet den Herrn“, gesungen und gespielt von dem Thomanerchor, der Oper und dem Gewandhausorchester Leipzig (https://www.youtube.com/watch?v=k9FcOfrpzSw&feature=youtu.be). 

Oder ich singe vor mich hin, was mir so einfällt: Meine Hoffnung und meine Freude“ 

oder „Das wünsch ich sehr, dass immer einer bei mir wär“ 

oder: 

„Auf meinen lieben Gott 

trau ich in Angst und Not, 

der kann mich allzeit retten 

aus Trübsal, Angst und Nöten, 

mein Unglück kann er wenden, 

steht alls in seinen Händen.“ 

 

 

Aus dem Gebet wächst die Kraft zur Tat 

Eberhard Heuß

„Da hilft nur noch beten!“ Diesen Stoßseufzer verwenden Menschen immer dann, wenn die Lage verzweifelt und fast hoffnungslos ist. Denn manchmal wird unsere wohl geordnete Welt gründlich durcheinandergeworfen. Wie durch das Coronavirus, das unser Leben zum Stillstand brachte. 

Zuhause bleiben, möglichst wenige Kontakte, keine Besuche der Kinder oder Eltern. Für viele wurden die Beschränkungen zu einer wachsenden Belastung. In manchen Herzen machte sich die Verzweiflung breit. Sicher dachte manch einer: „Da hilft nur noch beten!“

Beten heißt, sich Gott zu zuwenden. Immer wenn Menschen die Nähe Gottes suchten, haben sie gebetet: Gedankt für das Gute aus seiner Hand. Und sie haben ihn angerufen, wenn sie Hilfe in Not suchten. Beim Gebet und dem Stillwerden geht es darum, Gott mitzuteilen, was einen bewegt.

Aber Beten allein reicht manchmal nicht. Der Heilige Benedikt von Nursia hat dies erkannt und für die Mönche seines Ordens die berühmte Regel „Ora et labora“ – „Bete und arbeite“ – aufgestellt. Beim Gebet falten viele ihre Hände. Aber diese Hände müssen dann auch arbeiten und tätig werden.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges war die Kirche in einem oberbayrischen Dorf durch einen Bombentreffer zerstört. Amerikanische Soldaten und Einwohner begannen, die Trümmer des Gotteshauses beiseite zu räumen. Dabei fanden sie auch die große Christusfigur, die über dem Altar stand. Sie war fast unversehrt geblieben. Nur die Hände des Christus‘ fehlten, sie waren verloren und verschwunden. Trotzdem wurde die Figur wieder aufgestellt.

Einer der Soldaten schrieb schließlich ein Schild und lehnte es an die Christusfigur. Darauf stand: „Nun habe ich keine Hände mehr – außer den euren!“

In Zeiten von Krisen und Gefährdungen des Lebens hilft manchmal nur noch das Beten. Für mich wächst aus dem Gebet die Kraft zum Arbeiten und zur Tat.

Corona hat mir Unsicherheit und Furcht gebracht und es hat mich das Beten neu gelehrt. Zugleich freue ich mich, wenn ich wieder voll in den Dienst einsteigen kann und darf.

 

 

Lieder berühren und stärken die Seele

Ulrike Lay

In den letzten Wochen ist mir bewusst geworden, wie sehr ich an den alten Liedern in unserem Gesangbuch hänge. Fast jeder der Gesangbuchschlager weckt in mir Erinnerungen an besondere Gottesdienste, an liebe Menschen, an Feste. Es sind traurige und fröhliche Erinnerungen. Egal wie ich mich fühle, es gibt ein Lied, das mich berührt. Oft können dieses Lied und seine Melodie besser ausdrücken, was ich fühle, als ich selbst das kann. Sie geben meiner Seele eine Stimme.

„Geh aus mein Herz und suche Freud“ jubelt es in mir, wenn ich in diesen Tagen spazieren gehe. Die blühenden Obstbäume, das satte Gelb des Löwenzahns, Narzissen und Tulpen – sie erwecken mir alle Sinne, genau wie es Paul Gerhardt in seinem Liedtext beschreibt. Ich fange unwillkürlich an zu summen und leise vor mich hin zu singen. Graue Sorgengedanken sind in diesen Momenten weg und ich bin einfach nur dankbar, dass das Leben so voller Pracht um mich pulsiert und mich mit hineinnimmt in seine Melodie:

„Ich selber kann und mag nicht ruhn,

des großen Gottes großes Tun

erweckt mir alle Sinne;

ich singe mit, wenn alles singt

und lasse, was dem Höchsten klingt,

aus meinem Herzen rinnen.“

„Wer nur den lieben Gott lässt walten“ ist auch so ein Lied, das mich schon lange begleitet. Wie ein treuer Freund war es da, wenn ich nicht weiterwusste. Es hat mich durch dunkle Zeiten getragen. Und in den letzten Wochen hat mir die Zuversicht und Gelassenheit dieses Liedes geholfen, auf meinen Gott zu vertrauen: 

Was helfen uns die schweren Sorgen, 

was hilft uns unser Weh und Ach?

Was hilft es, dass wir alle Morgen 

beseufzen unser Ungemach? 

Wir machen unser Kreuz und Leid 

nur größer durch die Traurigkeit.“

Haben Sie auch solche Lieder, die Sie begleiten, die Ihre Seele berühren und stärken? Alte Gesangbuchlieder oder vielleicht die Lieder aus Taizé wie „Meine Hoffnung und meine Freude“? Hören Sie doch mal in sich hinein, was in Ihrer Seele klingt und Ihnen Kraft gibt.

 

 

 

Eine Zeit der Neubesinnung 

Matthias Vogt

Die Corona-Krise als „segensreiche Zeit“? Covid 19 – eine große Chance zur Ruhe und zur Neubesinnung? Ich war doch sehr verwirrt, als ich Mitte März solche Schlagzeilen im Internet las.
Denn – so fragte ich damals – wozu soll das gut sein? 

Heute, acht Wochen später, denke ich tatsächlich etwas anders. Ja, klar, mir fehlen meine Gottesdienste und die schönen Lieder, die Nähe zu den Menschen, der kurze „Tratsch“ auf dem Kirchenvorplatz und erst recht das Singen im Chor und mit meinen Bandkollegen. Es war schwer für mich in Geschäften und vor allem bei Beerdigungen Abstand zu halten und niemandem mein aufrichtiges Beileid zu wünschen. Trotzdem habe ich diese Wochen auch genossen. Alles wurde ruhiger und ich konnte wieder ein schönes Buch lesen, einen ausgedehnten Spaziergang machen, am Klavier sitzen und am Abend – so ganz ohne Gemeindeveranstaltung – mit dem Kopfhörer in die Welt der klassischen Komponisten abtauchen. Für mich war diese Zeit tatsächlich eine Zeit der Neubesinnung. Was ist wirklich wichtig? Was brauche ich dringend in meinem Leben? Es ist doch ganz erstaunlich, dass die Gesundheit der Menschen plötzlich wichtiger ist als alle Geschäfte, Shopping-Meilen, Theaterbesuche, und sogar der Fußball mit Millionen Verlusten wird plötzlich eingestellt.

Und wieder einmal ist es mir so deutlich geworden: In jeder Zeit deines Lebens kannst du jammern und klagen oder eben dann doch das Beste daraus machen. Ob gut oder schlecht liegt immer in den Augen des Betrachters. Ich möchte diese Wochen, die hinter mir liegen, nicht mehr missen, auch wenn ich in mir die Sehnsucht nach Wiederanfang und dem kleinen bisschen Normalität spüre. Und erst recht freue ich mich natürlich, dass meine Familie und ich selbst, dass wir gut und gesund durch diese Zeit gekommen sind.